Dienstag, 15.09.2020 - 01:34 3 min
Die Hinrichtung eines Gefühls
Ein Fassbinder-Klassiker hat es auf die Bühne geschafft. Im Mainzer Staatstheater sind „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ zu sehen – mit eindruckvollen Schauspielern.
Von Marianne Hoffmann
Anna Steffens spielt meisterlich die alternde und schrille Modediva Petra von Kant.(Foto: Staatstheater Mainz/Andreas Etter)
MAINZ - „Wie? Du siehst ,die bitteren Tränen der Petra von Kant’? Ist das ein Theaterstück? Ich dachte, das ist ein Film von Fassbinder?“ Richtig, es ist ein Film von Fassbinder, und er wurde fürs Theater aufgearbeitet. Für das Mainzer Staatstheater hat dies Pauline Beaulieu gemacht. Sie ist freischaffende Regisseurin, Autorin und Übersetzerin, gebürtige Französin und wohnt in Berlin. Für dieses Stück ist das Mainzer Staatstheater eine Kooperation mit dem Théâtre des Capucins der Stadt Luxembourg eingegangen.
Zur Erinnerung: Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) erzählte von der Mode, dem Blick und der Hinrichtung eines Gefühls namens Liebe. Knallhart und bitter. 1972 verfilmte er sein Stück, und wenn man sich das Melodram von einst anschaut, dann scheint Fassbinders 50 Jahre alter Stoff aktueller denn je.
Im Fassbinder-Film verkörpert Margit Carstensen die Modeschöpferin Petra von Kant, die, symbolisch für ihre kaputte Gefühlswelt, ein Kaffee-Service zertrampelt.
Das Stück, das im Kleinen Haus vor einem ausgeräumten Zuschauersaal, mit geschenkten Sofas und witzigen Stuhlpaarungen Corona-gemäß ausgestattet ist, gehört sechs Frauen und ein paar Models – Weiberwelt!
Da wäre zuerst einmal Petra von Kant, meisterlich gespielt von Anna Steffens, als schrille, überzogen arrogante, auf sich selbst bezogene alternde Diva, die sich in der Liebe verhält wie ein Teenager, auf der Suche nach dem großen Gefühl. Marlene (Catherine Janke) ist ihr Schatten: Schwarz gekleidet, schleicht sie im großen Fußkettchen um ihre Herrscherin herum, getrieben von einer bitteren Liebe.
Bitter enttäuscht nach ihrer zweiten Scheidung ist Petra, bis ihre Freundin Sidonie von Grasenabb (wunderbar gespielt von Kristina Gorjanowa) die blutjunge und völlig ungebildete, dafür aber bildhübsche Karin Thimm in Petras Haus bringt. Karin (Leandra Enders) springt quietschvergnügt ins Leben der alternden Diva und wird zur großen Liebe hochstilisiert.
Leandra Enders bringt Frische, das Temperament und die natürliche Schönheit der Jugend so beschwingt auf die Bühne, dass man Petra von Kant versteht. Daneben versauen die Tochter und die geldgierige Mutter das Leben der Modequeen, und auch Petras zelebrierter Geburtstag wird zum Desaster: ohne Karin – kein Geburtstag. Eine Pinata ohne Süßigkeiten, auf die man wütend einschlagen kann, ersetzt hier nicht das oben beschriebene Kaffeegeschirr.
Das Bühnenbild von Hella Prokoph ist großes Kino: Eine große eingelassene Badewanne oder ein Pool, ein eingelassenes Bett, umgeben von einem rundherum laufenden Vorhang aus Metallketten, der vorgezogen immer noch Einblicke gewährt, der festen Halt gibt (bei Wutausbrüchen), der zart durch die Hand gleitet – bei Zärtlichkeiten, der der flüchtigen Modewelt den coolen Touch gibt.
Die fantastischen Kostüme von Britta Leonhardt spiegeln eine elegante und kreative Modewelt in blassen Farben und stehen für die große Show.
100 Minuten lang ist man fasziniert von einer Frauenwelt voller Kleinlichkeiten, dem Tand der Modewelt und der ewigen Suche einer Frau, die besessen ist von dem Wunsch nach vollkommener Liebe und einer Beziehung, die sie nicht findet, weil sie sich selbst noch nicht gefunden hat.
VORSTELLUNG
Eine weitere Vorstellung gibt es am Montag, 21. September, im Kleinen Haus. Die Premiere in Luxembourg ist am 16. Oktober im Théâtre des Capucins.
STAATSTHEATER MAINZ
:
Tragödie mit nicht mal tragischem Ende
VON MATTHIAS BISCHOFF
-AKTUALISIERT AM 15.09.2020-09:55
Vom Film zurück ins Theater: Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ ist mit herausragenden Darstellerinnen am Staatstheater Mainz zu sehen.
Womöglich brauchte es den Umweg über den Film, um aus Rainer Werner Fassbinders 1971 mit mäßigem Erfolg uraufgeführtem Drama „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ einen Erfolg zu machen. Im Film von 1972 spielten unter anderen Hanna Schygulla und Eva Mattes mit, und die artifizielle Bildsprache von Kameramann Michael Ballhaus füllte einiges von der an sich banalen Niedergangsgeschichte einer Modedesignerin mit Bedeutsamkeit.
Die Darstellerinnen des Staatstheaters Mainz jedenfalls brauchen den Vergleich mit den großen Fassbinder-Diven nicht zu scheuen. Anna Steffens spielt die erfolgreiche Geschäftsfrau mit der unstillbaren Sehnsucht nach Liebe als zerrissene Persönlichkeit. Sie vermag nicht zu erkennen, dass ihr übergroßes Ego jede Glückserfüllung unmöglich macht. Denn die junge Karin Thimm, die sie bei sich wohnen lässt und zum Model ausbildet, erwidert ihre immer stärker werdenden Gefühle keineswegs und wird durch Petras wachsende Eifersucht nicht nur zu Gelegenheitssex mit Männern getrieben, sondern kehrt schließlich ganz zu ihrem Ehemann zurück. Leandra Enders spielt die junge Frau mit fröhlich-unbekümmerter Natürlichkeit, sie ist keine berechnende Karrieristin, einfach nur eine, die ihre Chance genutzt hat und durchaus Sympathie für Petra empfand. Aber auch nicht mehr.
Pauline Beaulieus Inszenierung im Kleinen Haus, wo das Publikum mit Abstand auf Sofas und mit Kissen halbwegs bequem gemachten Gartenbänken die traurige Geschichte bis zum bewusst nicht einmal tragischen Ende verfolgt, hat neben den gesprochenen Text eine ziemlich unmissverständliche Sprache aus Gesten und Bewegungen gesetzt. Immer wieder kriechen Petra und Karin, aber auch ihre Freundin Sidonie (Kristina Gorjanowna) auf allen Vieren auf dem Laufstegquadrat der Bühne (Hella Prokoph) herum, greifen raubtierartig mit den Händen nacheinander, stoßen mit den Köpfen wie Löwinnen, die ihr Revier verteidigen.
Glitter und Menschlichkeit
Dabei spielt die Dienerin Marlene (Catherine Janke) eine zentrale Rolle. Sie ist nahezu die gesamten hundert Minuten des Stücks auf der Bühne, ohne ein Wort zu sprechen, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben. Stumm befolgt sie sämtliche barsch hingeworfenen Befehle ihrer Herrin, mit der sie zu Beginn ebenfalls im Raubkatzenkampf zu sehen war.
War sie womöglich auch eine frühere Geliebte Petras, nun heruntergekommen zur Befehlsempfängerin? Nirgends wird das explizit ausgesprochen, aber die wissenden Blicke, mit denen Marlene das Geschehen begleitet, deuten das an. In jedem Fall zeigt Petras Verhalten gegenüber Marlene die dunkle Seite ihres Charakters, die Unfähigkeit zu lieben, ja, auch nur freundlich-freundschaftlich mit den Mitmenschen umzugehen, alle ihre Beziehungen kann sie nur als Machtverhältnisse denken.
Petra von Kant erkennt am Ende nach einem öden Geburtstagsfest mit ihrer Mutter Valerie (Iris Atzwanger) und ihrer Tochter Gabriele (Sarah Lamesch), dass sie nie lieben, immer nur Menschen besitzen wollte, aber aus dieser Erkenntnis folgt nichts. Die Frau ist wie eingefroren in ihrem mit üppigen Kleidern geschmückten Körper (Kostüme Britta Leonhardt), ihr Entsetzen über ihr leeres Dahinleben äußert sich in einem tonlosen Schrei. Beaulieus konzentrierte Inszenierung kann nicht ganz darüber hinwegtäuschen, dass all diese von äußerem Glitter übertünchte Mittelmäßigkeit nicht wirklich fesselt. Immerhin aber gelingt es ihren hervorragenden Darstellerinnen, die menschlichen Tragödien durchsichtig zu machen.
„Die bitteren Tränen der Petra von Kant“
Nächste Vorstellung am 21. September im Kleinen Haus des Staatstheaters Mainz.
Aktualisiert:
THEATER
Das Staatstheater Mainz eröffnet die Saison mit Fassbinders „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“.
Sofas und Gartenbänke für die Zuschauer im Kleinen Haus bleiben nicht das einzige Privatinterieur des neunzigminütigen Abends. Da Rainer Werner Fassbinders 1971 am Frankfurter „Theater am Turm“ uraufgeführter Fünfakter der Einheit des Orts folgte und auch 1972 in seiner Eigen-Verfilmung dabei blieb, verharrt das Geschehen im Appartement-Atelier der Titelheldin.
Petra von Kant, verkörpert von Anna Steffens, ist eine reiche Modeschöpferin, deren Liebe zur blutjungen Karin (Leandra Enders) lauer erwidert wird, als sie möchte. Hella Prokoph stellt die Mode-Kunstwelt auf einen kniehoch-quadratischen Laufsteg aus schwarzem Pseudo-Stein, der die Bühne von unscharfen Spiegeln flankiert beherrscht. In seiner Mitte: ein quadratisches Becken mit silbernem Duschvorhang, das die Darstellerinnen bespielen werden, als wäre es mit Wasser gefüllt. Stünden nicht schon alle Zeichen auf Künstlichkeit, sorgte der luxuriende Trocken-Pool für Damen in Haute-couture-Bademode dafür. Einmal wabert auch Nebel durchs feministische Boudoir, wo die aufgedonnerten Edeldamen unter gewollt wahllosen Modeschau-Klängen fliederbunt bis violett in Trancegewändern einherstöckeln oder sich vor schwarzen Ballons Schrumpfkopf-Vibratoren schenken. Am Hofe Petra tänzelt alles, freezt in Posen, zischelt, deklamiert und schlägt Schaum, sofern die Sekt-sauferei Zeit dazu lässt.
Die Mainzer Szenerie ist eleganter und universeller als im Film, dessen Enge und Fachwerk sie aufhebt. Männer kamen im Film für sechs Schauspielerinnen nur nackt an der Wand vor, in Poussins Gemälde „Midas und Bacchus“: ein Flair von Reichtum, Alkohol und mythischer Gewalt. Dass sein Frauenfilm den Frauen missfiel, führte der Filmer auf die Ehrlichkeit seiner Diagnose zurück: „Frauen sind interessanter, denn auf der einen Seite sind sie unterdrückt, aber andererseits sind sie es nicht wirklich, weil sie diese ‚Unterdrückung‘ als Terrorinstrument benutzen.“
Ein ähnliches Verhältnis zeichnet sein Stück zwischen der Modemacherin, die sich so biestig gegen Mutter (Iris Atzwanger als Valerie) wie Tochter (Gabriele: Sarah Lamesch) verhält und seit Jahren ihre Helferin Marlene demütigt, und Karin aus. Petra nötigt Karin, die von ihr Abhängige, in eine sexuelle Beziehung, bis sich Karin, eigentlich hetero, von ihr löst. Petras „bittere Tränen“ zeigen die späte Annahme dessen: ein Werk über Einsamkeit und Liebe als Fetisch also.
Regisseurin Pauline Beaulieu und die Darstellerinnen (zu ergänzen: Catherine Janke als Marlene, Kristina Gorjanowa als Sidonie) verleihen der Koproduktion mit dem Theater Luxemburg endlose Nuancen unbefriedigten Begehrens und Sichverfehlens. Karin fehlen die Männer und das Partymachen, Petra die wahre Liebe, Gabriele die Mutter, der passiv-stummen Marlene Petras Achtung und so fort: ein Reigen emotionaler Hypovitaminosen, der auf dem eckigen Laufsteg rumpelnd kreist und kreißt.
Für Britta Leonhardt erfüllt sich wohl ein Kostümieren-Traum, den sie mit ständigen Perückenwechseln an die 1970er zurückbindet. Schöner Saisonstart. (Von Marcus Hladek)
Staatstheater Mainz: 21. September. www.staatstheater-mainz.com
HENNING HÜBERT
Überspielung nach Redigat ins SWR-Korri-Fach Sonntagabend
Anmodinfo:
„Ein Kind stirbt. Es fällt aus dem Fenster seines Zimmers, während nebenan die Eltern miteinander schlafen. Traumatisiert zieht die Frau sich in sich selbst zurück. Der Mann, ein Therapeut, versucht die äußere Ordnung wiederherzustellen.“ So kündigt das Theater Koblenz die Adaption des Skandalfilms „Antichrist“ des dänischen Regisseurs Lars von Trier an. Auf einer Probebühne hat die junge Theaterregisseurin Pauline Beaulieu „Antichrist“ inszeniert. Das Zwei-Personen-Stück zeigt einen Albtraum: zwischen dem Tod des Kindes und dem Tod eines Elternteils. Henning Hübert hat die Premiere (Fr., 15.02.19) gesehen:
Keine 50 Zuschauer passen vor und neben die Probebühne 4, Sound kommt von allen Seiten, Videos werden eingespielt. So könnte schnell Intimität entstehen. Soll sie aber nicht. Stattdessen Verfremdungselemente: Sie, die Sexbesessene, räkelt sich in ihrem Negligee auf einem Haufen von Teppichen und grauem Malervlies. Über ihr: eine Malerfolie aus Plastik, die sie bedeckt und verschleiert. Und er, der immer rational argumentierende Mann und Therapeut, zeichnet im Zweifel lieber alles mit seiner Videokamera auf, anstatt sich auf ein echtes Gespräch einzulassen.
Tr. 110343, 09:22: Sie: Ich kann dich nicht ausstehen. Er: Wie geht es Dir? Sie: Ich kann dich nicht ausstehen. Ich kann dich nicht ausstehen, verdammt. Warum haben wir uns nicht scheiden lassen? Er: Wir können uns immer noch scheiden lassen, aber vielleicht nicht gerade jetzt. Wir müssen da jetzt durch, wir beide zusammen. Sie: Ich kann dich nicht ausstehen.“ – 09:44
Klare Sätze, oft herausgeschrieen: Jana Gwosdek verkörpert das Leiden dieser namenlos bleibenden Frau. Sehend, wütend, zunehmend zitternd. Sie wirft ihrem Mann Kälte und Distanziertheit vor und prügelt auch. David Prosenc bleibt dagegen gefasst und immer ganz in der Rolle: Er, der Mann und Therapeut mit dem Macho-Motto: Ich weiß, was dir gut tut.
Anders als der Film von Lars von Trier beginnt der Theaterabend nicht mit der Gleichzeitigkeit vom Sex der Eltern und dem Tod des Kindes, das in die Tiefe stürzt. Regisseurin Pauline Beaulieu lässt das Zwei-Personen-Stück mit der Trauer der Eltern am Grab beginnen. Es dreht sich keine Waschmaschine wie im Film. Für das bisschen Haushalt steht auf der Koblenzer Bühne der Staubsauger. Er bedient ihn. Saugt damit das Bällebad weg, lauter apfelgrüne Plastikkugeln.
O-Ton Sie: Hilf mir. Er: Was sagst du bitte? Sie: Hilf mir. Er: Ja das versuch ich ja gerade.“ Alles über Staubsaugergeräusch.
Hilfloses Helfen mit den offensichtlich falschen Methoden. Während der Film in der echten, unheimlichen Natur spielt, ist auf der Theaterbühne von Ausstatterin Yvonne Leinfelder alles künstlich: Die abgestorbenen Äste sind umwickelt von grauem Vlies. Das Gras ist so unecht wie das mancher Osternester. Wenn ein Rabe auftaucht, dann als Motiv auf dem Babyschlafsack. Die Rückzugs-Hütte der beiden ist auf der Koblenzer Theaterbühne ein Hochsitz mit Laufgitter – ein Babybett auf Stelzen. Er und sie verhüllen oder entblättern sich dort oben, ganz nackt sind sie aber nie. Auch ihre Schuhe wechseln sie: Gehen mal barfuß, mal in roten High Heels, mal in Gummistiefeln. Die Schuhe und der Obduktionsbericht des Kindes geraten zum Schlüssel des Stücks:
O-Ton Sie: „Die einzige Abnormität des Opfers ist eine leichte, bereits ältere Deformation der Fußknochen. Wir erachten diese als unwichtig.“
Nicht aber Regisseurin Pauline Beaulieu. Was verhindert freie Bewegung in der Natur? Warum springt ein Kind heute eher in Gummistiefeln als barfuß in Pfützen? Ob das Leben eine einzige Entfremdung ist, darüber kann man lange nachdenken, während das Paar Teppiche aufrollt, Schicht um Schicht seines Familienlebens frei legt. Was den Albtraum nur verlängert und die Schuldfrage am Tod des Kindes nicht eindeutig klärt. Ein unheimlicher Theaterabend mit starker Symbolik, surrealem Sound und überzeugenden Schauspielern. Der Koblenzer Antichrist endet mit ihrem gewaltsamen Tod durch ihn, mitten im Stoffberg. Aus dem gibt’s einfach kein Entrinnen.
Abmodinfo:
Weitere Vorstellungen: 21./ 23./ 28. Februar; 2./ 6./ 7. März
Fotos auf: www.theater-koblenz.de
Das Theater Vorpommern macht Camus Die Gerechten zum Hauptstück seines Spektakels Ordnung und Widerstand
(...) Doch vorher sehen die Besucher, die bei der Premiere am Samstag in Greifswald bei weitem nicht saalfüllend erschienen waren, eines von vier parallelen Vorspielen. Als Versuchsanordnungen aus dem Absurdistan der Gegenwart stellen sie Ordnungen in Frage und thematisieren Unbehagen, weniger Widerstand.
So klang es zunächst zaghaft, als Zuschauer am Ende des Vorspiels Televisator von Maikel Drexler und Konrad Kolodziej, einer Uraufführung der Berliner Schauspielhochschule Ernst Busch, Einwände hatten: Aber wir müssen doch protestieren können. Zuvor hatten die Besucher an Basteltischen eine Planstadt Leeskow an der Elde errichtet - als ihr ganz persönliches Heim, wie die Fernseh-Ansager im Marketing-Sound säuselten. Das Projekt wurde weiterverkauft, ohne dass die Produzenten Rechte an ihrem Produkt hätten.
Vereinte Nationen von Clemens J. Setz (mit Melinda Sanchez, Alexander Frank Zieglarski, Erwin Bröderbauer und Frederike Duggen) beleuchtet mediale Selbstvermarktung und beschreibt, wie normale
Menschen beim Sog kleiner Gewinnerwartungen sich deformieren: Hier auch das eigene Kind, dessen Entwicklung ein Paar auf Videos anfangs dokumentiert und allmählich, den Wünschen der Subskribenten folgend, in manipulierten Situationen subtil misshandelt.
Zwei Männer ganz nackt von Sebastian Thiéry mit Jan Bernhardt, Ronny Winter und Maria Steurich löst mit dem Erwachen zweier nackter Rechtsanwälte in einem Bett eine Ehekrise aus.
Und das Vorspiel Ode an die Ordnung von Sebastian Undisz und Pauline Beaulieu spürt mit Schauspielern und einem Chor der Angestellten der Agentur für Ordnung dem Klang von Ordnungen, Chaos oder Bürokratie nach.
(...)
Ostsee-Zeitung, 28.5.2018 - Von Dietrich Pätzold
Was am Mittwoch in der Jacobikirche Stralsund gezeigt wurde, war große Schauspielkunst.
" Monodramen (4) hatte Premiere mit zwei Stücken, die als grandiose politische Kunst die Ungerechtigkeiten dieser Welt thematisierten.
(...) Nicht weniger provozierend war das zweite Stück der gut zwei Stunden
Spielzeit: "Am Ende kommt es darauf an, wer die Maschinengewehre hat" nach Texten aus "Mitleid" von Milo Rau, inszeniert von Pauline Beaulieu. Ein bildgewaltiges, Körper betontes Stück, indem
Frederike Duggen von der globalisierten Welt als Ort der Ungerechtigkeiten erzählt. Ihr Bericht über das Elend der Syrer auf ihrer Flucht nach Europa und den Genozid in Ruanda enthält sowohl
mediale als auch autobiographische Versatzstücke. Mit schwarz beschmiertem Gesicht schleppt Duggen Holzpaletten umher und rennt auf der Bühne umher. Eine Getriebene, die von der Tatsache, dass
die Menschheit um Kriege und Völkermorde weiß und trotzdem nichts ändert, fast zerrissen wird. Zwei großartige Monodramen, die es sich lohnt, anzusehen!"
von Annemarie Bierstedt - Ostsee-Zeitung, 27.04.2017
... Doch die Inszenierung von Pauline Beaulieu, die am Mittwoch im Jenaer Kassablanca Premiere hatte, erinnert kaum an dieses Ereignis. Vielmehr könnte die Truppe ein Abbild jedweder Terrorgruppe sein. Ob politisch oder religiös motiviert, der Fanatismus, die sektenähnlichen Gebaren, einzelne Kampflosungen, aber auch Streit und Angst sind wohl überall anzutreffen. Für eine Idee zu sterben, sei die Möglichkeit, sich dieser Idee würdig zu erweisen, lautet sinngemäß eine der fragwürdigen Losungen. Eine andere: Ich töte nicht ihn, sondern die Ungerechtigkeit. Eine dritte: Ich habe beschlossen zu töten, damit das Morden ein Ende hat. ... Ulrike Merkel / 07.10.16 / ZGT
"Ungewöhnlich und intensiv: Die Eröffnung der neuen Theaterhausspielzeit wird erstmals im Kassablanca gefeiert – mit der Premiere von Albert Camus‘ Drama „Die Gerechten“.
Die französische Gastregisseurin Pauline Beaulieu inszenierte für das Jenaer Theaterhaus Albert Camus‘ Drama "Die Gerechten".
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Bereits in der vergangenen Spielzeit bewies die Regisseurin mit "Haus des Schlafes" ein außergewöhnliches Gespür für die Feinheiten emotionaler Tiefen, die sie ebenso außergewöhnlich zu inszenieren versteht. ..." Jördis Bachmann / 05.10.16 / OTZ
"...Unter diesen Voraussetzungen ist die Biennale - Produktion "Mnemo/scene:Echos" besonders. Komponistin Stephanie Haensler und Regisseurin Pauline Beaulieu haben mit diesem Projekt ein Musiktheater par excellence geschaffen, das dennoch mit dem, was man sich gemeinhin unter Oper vorstellt, nichts gemein hat...." Von Rita Argauer
©SZ vom 06.06.2016
"... Jörn Florian Fuchs: Es waren weniger die großen Produktion, das Kleinere war spannend, die installativen Projekte. Zum Beispiel "Mnemo/scenes: Echos", das sich auf ein Stück von Schumann bezieht. ..."
Das Gespräch für BR-KLASSIK mit Jörn Florian Fuchs führte Sylvia Schreiber.