Troerinnen

nach Euripides

Diplominszenierung - Juni 2011

bat - Studiotheater der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch

Fotos © Luisa Catucci und Anna Bergemann 

Beschreibung

 

Euripides schrieb den Klagegesang der trojanischen Frauen und ihrer Königin Hekabe über die Vernichtung der Stadt Troja und seiner Bewohner ca. 415 v. Chr. Er gab darin dem Leid der Frauen eine Stimme, die am Ende des mythischen Krieges in die Sklaverei verschleppt wurden: ihrem Verlust des Status, der Heimat, der Kinder, der Liebe und zuletzt des Verstandes. In der Zeit von Euripides wurden Die Troerinnen von Männern gespielt. Dieses Stück, auf die vier Hauptrollen reduziert, heute, 2426 Jahren später, mit Männern zu besetzen, konfrontiert uns mit ganz anderen Thematiken. Was heißt es für Schauspieler, eine Frau, die Opfer männlicher Gewalt im Krieg wurde, zu spielen? Wie viel Anteil an Weiblichkeit ist man bereit zu zeigen, ohne sich selbst gefährdet zu fühlen? Nimmt man als Mann nicht automatisch eine Täter-Perspektive ein? In der Inszenierung von Pauline Beaulieu irren vier Männer in einer Zwischenwelt, in dem nur noch Hass und verzweifelte Einsamkeit herrschen. Ihre Stimmen versuchen, durch die Zeit zu uns zu kommen und einen Bogen von Troja bis zu Ruanda und Bosnien zu schlagen, um einige Tabus zu brechen und endlich gehört zu werden.

 

Regie: Pauline Beaulieu 4. Stj. Schauspielregie 

Mit: Jytte-Merle BöhrnsenSven BrormannBjörn Geske und Daniel Kersten.

Bühne: Anna Bergemann

Kostüme: Anja Frida Sohre

Dramaturgie: Marion Hirte

Musik: Knut Jürgens

 

Presse

"Gewalt ist zeitlos"

"Troerinnen" nach Euripides im bat-Studiotheater.

Der griechische Dramatiker Euripides schrieb seine "Troerinnen" um 415 vor unserer Zeitrechnung. Das Stück thematisiert die Greueltaten beim Untergang der Stadt Troja und faßt die Klage der trojanischen Frauen in Worte, die statt des erhofften Friedens wahre Orgien der Gewalt und Erniedrigung erdulden mußten. Pauline Beaulieus Diplominszenierung an der Schauspiel-Hochschule "Ernst Busch" begnügt sich aber nicht mit einer philologischen Verbeugung vor altgriechischen Kriegsmythen, sondern sie verknüpft die antiken Schilderungen mit zeitgenössischen Berichten über die Schändung von Frauen als regelrechte Kriegstechnik in Ruanda und im Balkankrieg. Man hört die Texte mit Erschütterung und verknüpft sie wie von selbst mit den neuesten Nachrichten unserer Tage über Vergewaltigungen im alltäglichen libyschen Bürgerkrieg. 

Pauline Beaulieu schafft mit Unterstützung des Bühnenbildes von Anna Bergemann sowie der Sound- und Songbegleitung durch Knut Jürgens eine Atmosphäre bedrohlicher Düsternis, die den Betrachter eine Stunde lang nicht mehr losläßt. Das Bühnenbild besteht aus vier sackartigen Stoffbahnen, die an einer stabilen Rohrkonstruktion hängen und sich auf- und ab bewegen lassen. Die Regie besetzt drei der vier Frauenrollen (Hekabe, Andromache und Kassandra) mit männlichen Schauspielern. Das liefert nicht nur einen distanzierenden Verfremdungseffekt, sondern es läßt die Akteure auch abwechselnd die Rollen der Opfer und der Täter übernehmen. Björn Geske, Sven Brormann und Daniel Kersten interpretieren ihren schweißtreiben Aktionspart mit großem Einsatz. Lediglich die Rolle der Helena ist mit Jytte-Merle Böhrnsen einer Frau übertragen, die ihre Chance als Kontrapunkt zu nutzen weiß. 

Das große Verdienst der Inszenierung besteht darin, den antiken Texten präzise geortet zu haben und mit Hilfe der Ergänzungen gleichwohl die Zeitlosigkeit der Kriegstechnik Gewalt mit bedrückender Prägnanz und geradezu agressiver Aktualität vor Augen zu führen. So entsteht mehr als didaktisches Deklamationstheater: die Frage von Schuld und Sühne wird ebenso gestellt wie die Frage, ob Gewalt sich ächten lasse oder nicht sogar untrennbar mit der menschlichen Natur verbunden sei. Am Schluß folgt einer längeren Atempause nachdenklicher Beifall für ein mit viel Engagement vorgetragenes Plädoyer."  Nachtkritik von Horst Rödiger